von Simon Dietrich
Die Marburger Elisabethkirche, 1235–1283 vom Deutschen Orden über dem Grab der heiligen Elisabeth erbaut, birgt einen äußerst reichen Bestand an spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Graffiti. Aus dem Zeitraum vor 1900 haben sich rund 1300 eingeritzte oder mit Rötelstift aufgetragene Inschriften und Zeichnungen auf den Wänden, Säulen und Ausstattungsgegenständen der Kirche erhalten. Abgesehen von einigen wenigen Bemerkungen in Restaurierungsberichten wurde ihnen seitens der Fachliteratur bisher keinerlei Beachtung geschenkt.
Die ältesten Graffiti haben sich in der Sakristei der Kirche erhalten, die seit ca. 1290 Aufbewahrungsort des Elisabethschreins ist. Dazu zählen vor allem die eingeritzten Wappen, die aufgrund ihrer Helm- und Schildformen ins 14. und 15. Jahrhundert datiert werden können. Ein Teil dieser heraldischen Ritzungen kann den Mitgliedern des Marburger Deutschordenshauses zugeordnet werden, ein anderer Teil stammt vielleicht von reisenden Adeligen (siehe den Beitrag von Detlev Kraack).
Die frühesten Inschriften der Sakristei datieren aus dem 15. Jahrhundert – darunter etwa die Namen zweier Adeliger aus der Wetterau. Und auch Zeichnungen verschiedener Tiere haben sich in nicht unbeträchtlicher Anzahl erhalten. Es wird wohl kaum als Zufall zu werten sein, dass all diese Zeugnisse in unmittelbarer Nähe der wichtigsten Elisabethreliquien angebracht wurden.
Außerhalb der Sakristei können im ganzen Kirchenraum verteilt Inschriften angetroffen werden, die sich allesamt einer bestimmten sozialen Gruppe im frühneuzeitlichen Marburg zuweisen lassen: Den Studenten der 1527 gegründeten Universität sowie den Schülern des daran angeschlossenen Pädagogiums. Auch Handwerker und Küster haben sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts im Gemäuer der Kirche verewigt.
Insgesamt gesehen sticht der Graffitibefund der Elisabethkirche vor allem durch seine inhaltliche Bandbreite hervor. Aus diesem Grunde kann er für eine Vielzahl von Fragestellungen fruchtbar gemacht werden, wobei an dieser Stelle nur auf die Forschungen zur spätmittelalterlichen Elisabethverehrung oder zum studentischen Alltag im 16./17. Jahrhundert hingewiesen sei.
Der Vortrag möchte explizit den Gesamtbestand der Elisabethkirchengraffiti würdigen und ihn sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich seiner topographischen und quantitativen Verteilung im Raum vorstellen. Da es die Quellen- und Befundlage anbietet, sollen hierbei auch methodische Herausforderungen zur Sprache kommen, mit denen sich vermutlich jeder Bearbeiter eines solchen Befundes früher oder später einmal konfrontiert sieht (Stichworte: Überlieferungsverlust und ex situ-Überlieferung).
(Fotos: Simon Dietrich)
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